Montag, 29. September 2014

Erfolg im Rechnen

Was mache ich mit einem Zweitklässler, der noch mit den Fingern rechnet - pardon, an den Fingern zählt? Da ist der Zahlbegriff noch nicht genügend abstrahiert und die Addition auch noch nicht wirklich begriffen. Sonst würde er nicht dreimal von Null auf x zählen.


Ich schaute mir das Legematerial des Schulbuches an: Papierstreifen mit jeweils zehn (respektive hundert) Punkten, gekerbte Holzstäbe - und plötzlich erinnerte ich mich der guten alten Cuisenaire-Stäbe: Diese stellen eine Zahl als Ganzes dar, ohne sie immer wieder in ihre Einzelteile aufzulösen. Ich wagte den Versuch und gab meinem Kinde eine Schachtel der Cuisenaire'schen Rechenstäbe. Jede Rechenstunde bekam er einen Auftrag, etwas zu bauen, zu legen. Sehr rasch schon, begann der Teppiche zu legen (Faktorzerlegung). Bevor er nach Hause geht, schreibt er diese Additionen auch in sein Heft - und das geht ohne Finger. Ich will nichts überstürzen und so bleibt das Kind im Moment noch im Zahlenbereich bis zehn.

Montag, 22. September 2014

Lehrwerk zwar, aber offen und kindorientiert

Célestin Freinet empfiehlt den Unterricht ohne Schulbuch und ersetzt es durch eine umfangreiche Klassenzimmerbibliothek und Arbeitskarteien, auch um „den Kindern das Wort (zu) geben“. Manchmal geht das nicht so einfach oder die Schule verlangt den Einsatz eines gedruckten Lehrwerks. Ich habe kürzlich "Einstern" aus dem Cornelsen-Verlag entdeckt. Natürlich ist es ein Schulbuch.

Es ist jedoch sehr offen aufgebaut und unterstützt somit soweit möglich einen kindorientierten Mathematikunterricht. Die Kinder können selbstständig und im eigenen Tempo lernen. Das gibt dem Lehrer viel mehr Zeit, sich einzelnen Kindern zu widmen. Der Film gibt einen Einblick, wie Lehrer und Schüler damit arbeiten.



Ich denke es lohnt sich, bei der nächsten Lehrmittelausstellung in der Region am Stand von Cornelsen einen Blick in Einstern zu werfen.

Beim Einsatz hingegen sollte man sich nicht dazu verleiten lassen, einfach das Buch von vorne nach hinten durchzuarbeiten. Die kleinen (fast) selbsterklärenden Lernportionen erlauben es viel mehr, sich mehr Zeit für die Kinder zunehmen und dann Aufgaben, in denen Lernmaterial zum Anfassen gezeichnet ist, solches auch echt mit den Kindern einzusetzen. Schade auch, dass auch ab der dritten Klasse die Hefte als Einwegmaterial konzipiert ist, obgleich die Kinder fast alles in ein Rechenheft lösen. Das ist gut für den Verlag und schlecht für die Schulkasse.

Montag, 15. September 2014

Gute Französisch-Lehrmittel werden ersetzt

Neulich fragte mich mein 11-jähriger Sohn am Mittagstisch: «Wie viele Guetzli darf ich zum Dessert haben? Yksi, kaksi oder kolme?» Da ich mich nicht erinnern konnte, in den vergangenen zwei Wochen irgendwelche Spezialbiscuits im kleinen Lebensmittelshop des blau-gelben Möbelgiganten eingekauft zu haben, schaute ich meinen Sohn fragend an.

«Das ist Finnisch und bedeutet një, dy, trë auf Albanisch», erklärte er mir. «Wo hast du denn das gelernt?» – «Im Französischunterricht.» – «Ach so. Und kannst du die Zahlen von 1 bis 20 auch auf Französisch?» – «Nein, nur bis 10, aber das ist nicht so wichtig, hat der Lehrer gesagt.»

Nun, wir gehören zu den Eltern, die sich zwar regelmässig erkundigen, wie es unseren Kindern in der Schule so läuft. Solange sie mit ihren Kameraden, den Lehrpersonen und den Hausaufgaben klar kommen und die Noten stimmen, halten wir uns bewusst im Hintergrund. Diese Zählerei machte mich aber dann doch ‹gwunderig›. Ich beschloss, dass Alex Capus' neuer Roman «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer» an jenem Abend warten musste. An seine Stelle trat «Mille feuilles», zu deutsch «Crèmeschnitte», das neue Franzi-Lehrmittel für die Primarstufe.

Pierrot et Pierrette
Als «Bonne Chance»-Kind der frühen 1980er schickte ich mich an zu erfahren, wie die Kinder heutzutage im Zeitalter des Internets Französisch lernen. Schon beim ersten Durchblättern stolperte ich
über ein physikalisches Experiment, das aufzeigen soll, warum sich eine Papierblume im Wasser sanft öffnet: «Parce que l’eau pénètre par capillarité dans les petits espaces vides des fi bres du papier
et le gonfl e, alors les coins de papier pliés se détendent et s’ouvrent comme les pétales d’une fleur.»

Ich las die Erklärung ein zweites Mal und fragte mich unweigerlich, ob das ein Fünftklässler tatsächlich versteht. Vor allem aber fragte ich mich, bei welcher Gelegenheit er in den nächsten Jahren wohl erklären muss, warum Schallwellen im Wasser eine grössere Reichweite haben und warum ein Daumen über deutlich mehr Nerven verfügt und deshalb sensibler als ein Arm ist.

Über Inhalte lässt sich streiten, dachte ich leicht irritiert und blätterte weiter – in der Hoffnung, ein paar Themen zu finden, die man in alltäglichen Situationen gut gebrauchen kann. Ergebnis: Fehlanzeige. Auf x Seiten verteilt fanden sich in orangen, blauen und grünen Kästchen gut gemeinte Anweisungen, die den Lernenden helfen sollen, möglichst grosse Fortschritte zu machen. «Ich kann mein Auftreten beeinfl ussen, wenn ich im Voraus überlege, worauf ich besonders achten muss», stand da. Und weiter: «Komplexe Erklärungen kann ich auch auf Deutsch geben.» – «Ich kann Schreibgrenzen überwinden.» – «Ich bin stolz, wenn mir etwas gelingt.»

Ich schweifte ab und fand mich im Französischunterricht der 1980er Jahre wieder. Pierrot et Pierrette kamen mir in den Sinn, wie sie sich in der allerersten Lektion ausschliesslich auf Französisch unterhielten; die köstlichen Rollenspiele, die wir jeweils mit Begeisterung einstudierten, veränderten und genüsslich zum Besten gaben; die traurige Geschichte von Josette, deren Los es war, zur Zeit der Industrialisierung in einer Fabrik arbeiten zu müssen; und natürlich der 15-jährige Leduc, der mit seinem Götti zum ersten Mal Paris erkundigte.

Ich konnte mich nicht entsinnen, dass wir jemals über das Gelernte nachgedacht und eine Lernspur hinterlassen hätten. Und trotzdem konnten die meisten von uns dem konsequent auf Französisch erteilten Unterricht folgen. Wir unterhielten uns über die Geschichten von Maupassant und überlegten uns, ob wir wohl auch wie «la mère sauvage» gehandelt hätten, schauten ‹TSR la Première› und debattierten im Klassenunterricht über die Argumente der jungen Romands. Und an den Volleyballturnieren in Lausanne und Genf waren wir imstande, uns nach dem Turnier mit den Spielerinnen des gegnerischen Teams zu unterhalten: über das Spiel, über unsere Interessen und unsere letzten Ferien in der Bretagne. Die Englischfans unter uns, denen die französische Sprache schon damals etwas Spanisch vorkam, taten dies auf Englisch und erhielten erfreut Antwort – auf Englisch.

Einigermassen ernüchtert legte ich das Crèmeschnittenbuch beiseite und widmete mich wieder meinem Ingenieurstudenten, dem Pazifi sten Felix Bloch, der entgegen aller friedlicher Vorsätze zum Bombenbauer werden sollte.

Am nächsten Morgen erkundigte ich mich bei meinem Sohn, ob er wisse, warum sich eine Papierblume im Wasser sanft öffnet. «Keine Ahnung», lautete die knappe Antwort. «Aber du hast mir doch erzählt, dass ihr euch kürzlich spannende Experimente vorgestellt habt.» – «Ach die, ja klar.» – «Hast du denn gewusst, was du da erzählst?» – «Nein, und die anderen auch nicht, aber das ist ja nicht so wichtig, hat der ...» – «... Lehrer gesagt.» – «Weisst du, mit diesem Buch kann man gar nicht Französisch lernen.» – «Doch, doch, das geht schon. Es ist halt einfach anders als vor 30 Jahren. Nach der Schule wirst du eh noch einen Aufenthalt in der Romandie machen. Dann kommt das schon gut.» – «In der Romandie? Dort, wo sie Kuhkämpfe machen?» – «Kuhkämpfe?» – «Ja, schau hier, unser letztes Thema.»

Frustriert schickte ich Tim und Eric in die Schule. Eine Strategie liess mich auf dem Weg zum Büro nicht mehr los: «Ich weiss, wie ein Witz aufgebaut ist. Das hilft mir, einen Witz zu verstehen.»

Soweit ein Bericht aus dem Basellandschäftler Schulblatt. Auch nach 3 Jahren ist das Französischlehrmittel Milles Feuilles höchst umstritten. Nun fühlt sich auch der Lehrmittelverlag Zürich bemüssigt, das beliebte Werk Envol zu ersetzen. Der Bericht zeigt jedoch noch eine zweite Misère: Der Lehrer, dem es nicht passt und dies bei jeder Gelegenheit den Kindern auch sagt. Ein guter, motivierter Lehrer kann auch mit einem schlechten Lehrmittel gut unterrichten. 

Doch je mehr Kinder in eine Klasse gestopft werden, je mehr administrativer Kram, je mehr Koordination, je mehr Sitzungen, je mehr Reformen aufgegleist werden, desto mehr werden nur noch Stunden gehalten. Am beliebtesten werden dann Bücher, die man einfach Seite für Seite von vorne nach hinten durcharbeiten kann. Das darf es nicht sein.

Staatspolitisch brauchen wir begeisterte Französischlehrer, denn nur ihnen kann es gelingen, dass in unseren Schulstuben wieder lieber eine zweite Landessprache gelernt wird.

Montag, 8. September 2014

Grössen mit links dank Cuisenaire

Viele Kinder lernen: zehn Dezimeter gleich ein Meter, etc., obwohl der Dezimeter in ihrem Leben absolut irrelevant ist. Entsprechend ist das Drama, wenn es um Grössen und Messen geht. Doch was ist daran so schwierig? Das Denken in Einheiten, die - je nach Perspektive - ein Vielfaches oder ein Teil anderer Einheiten sein können, scheint heutigen Schülern nicht mehr ohne Weiteres einzuleuchten.

Wer das Rechnen jedoch anhand von Cuisenaire-Stäben lernt oder gelernt hat, ist da klar im Vorteil: Die Stäbe veranschaulichen das Prinzip des Teil-Ganzen auf ganz natürliche Weise.



Erste Schritte mit diesem Material auf dem Gebiet von Vergleichen und Messen zeigt dieser dritte Teil des Videomitschnitts eines Vortrags von Ulf Grebe, gehalten 2010 beim "Studientag Dyskalkulie" in Köln.

Auf die Erfahrungen von Arthur Brühlmeier haben wir schon im ersten Teil über die Cuisenaire-Stäbe hingewiesen. Ein anderer pensionierter Kollege, Wolfram Buchwald, hat während der Jahrzehnte, während derer er unterrichtet hatte, eine eigentliche Mathematik-Fibel zur Cuisenaire-Methode zusammengestellt und stellt diese in verdankenswerter Weise uns zur Verfügung: Ein eigentlicher Lehrgang und noch unzählige Arbeitsblätter. Dies ist umso verdankenswerter, da die Cuisenaire-Methode wie jede andere Methode sorgfältig eingeführt werden muss - zu Beginn in der ersten Klasse. Nur dann kann man in der zweiten bei der Multiplikation oder in der dritten bei den Grössen ernten.

Und hier geht es zum mittleren Teil des Vortrages.

Montag, 1. September 2014

Cuisenaire-Stäbe helfen rechenschwachen Kindern, Mathematik zu be-greifen

Cuisenaire-Stäbe, auch farbige Stäbe genannt, sind ein sehr vielseitiges Lernmittel. Erfunden vom belgischen Schulinspektor Cuisenaire, sind sie bestens geeignet, um Kindern die Grundlagen der Mathematik nahe zu bringen. Der wichtige Aspekt der Zahlverhältnisse wird dabei besonders betont, denn beim Umgang mit den Cuisenairestäben hilft das Zählen nicht weiter - sie weisen keine Markierungen auf. Gerade rechenschwache Kinder, die oft nur schwer vom Zählen loskommen, lernen mit den Cuisenaire-Stäben, was beim Rechnen wirklich "zählt". Kinder, die mit den farbigen Cuisenaire-Stäben den Zahlenraum bis zehn kennen und verstehen lernen, werden von Anfang an auf die Verhältnisse zwischen den Zahlen aufmerksam und stellen Vergleiche an: "Ein roter ist so gross wie zwei weisse. Fünf rote aufeinander sind so groß wie ein orangefarbener Stab." - Damit sind alle Rechenoperationen vom Prinzip her angelegt und können buchstäblich be-griffen und versprachlicht werden.




Der Film zeigt den zweiten von drei Teilen eines Vortrages von Ulf Grebe am Studientag Dyskalkulie in Köln.

Hier geht es zum ersten Teil des Vortrags.