Montag, 25. August 2014

Cuisenaire-Stäbe - ein äusserst vielseitiges Mathematiklehrmittel

Die Erneuerung des Mathematikunterrichts führte zu einem sehr merklichen Leistungsabfall im arithmetischen Bereich. Da das Operieren mit Zahlen etwas mit Denken zu tun hat und darum das Rechnenkönnen durchaus auch als ein Gradmesser für Denkenkönnen gelten darf, bedauert Arthur Brühlmeier in seinem Aufsatz zur Cuisenaire-Methode diese Entwicklung. Er empfiehlt, die Bildung von arithmetischen Fertigkeiten als legitimes und notwendiges Ziel des Unterrichts anzuerkennen.



Zu Unrecht sind die farbigen Cuisenaire-Stäbe vielerorts in Vergessenheit geraten, denn sie sind ein äusserst vielseitiges Lernmittel und bestens geeignet, den Kindern die Grundlagen der Mathematik nahe zu bringen. Der Film zeigt den ersten Teil eines Vortrages von Ulf Grebe, den er am 5. Februar 2010 beim Kölner "Studientag Dyskalkulie" gehalten hatte.

Montag, 18. August 2014

Prof. Jochen Krautz warnt vor Bildungsblase

Pädagogikprofessor Jochen Krautz

Jochen Krautz ist Professor für Kunstpädagogik an der Bergischen Universität Wuppertal. 2007 erschien von ihm das Werk «Ware Bildung – Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie» und warnt vor einer Bildungsblase:

Wir provozieren tatsächlich eine Inflation bei den akademischen Abschlüssen. Das Ganze geht auf die These zurück, dass mehr Akademiker auch mehr Wohlstand bedeuten. Diese These ist aber ebenfalls nicht belegt, ganz im Gegenteil. Die Schweiz und auch Deutschland mit dem dualen Berufsbildungssystem und der vergleichsweise tiefen Jugendarbeitslosigkeit sind der lebendige Gegenbeweis. Das nimmt man mittlerweile vereinzelt sogar in der OECD zur Kenntnis. Aber das Mantra vom Segen der Akademisierung ist noch lange nicht verstummt.

Die OECD liefert eigentlich vergleichende Wirtschaftsdaten. Aber sie hat sich schon in den 1960er Jahren der Bildungspolitik angenommen. Ihr Ziel ist eine Vereinheitlichung des Bildungswesens in der ganzen OECD, der Abbau lokaler und nationaler Traditionen und klassischer Inhalte zugunsten der Standardisierung und Vergleichbarkeit. Dahinter steckt ein ökonomistischer, neoliberaler Glaube. Der Pisa-Test ist das Kind dieses Denkens. Der angeblich neutrale Pisa-Test führt zu einem völlig neuen Begriff von Bildung: Es geht nicht um Wissen, sondern um die Fähigkeit, sich anzupassen. Das steht im krassen Widerspruch zu allem, was die alte Bildungstradition ausmacht. Komplette Anpassung war nie ihr Ziel.

Ich halte diese Entwicklung für sehr bedenklich. Man muss den jungen Leuten beibringen, selbständig zu denken und nicht nur äusserlich zu funktionieren. Für die Demokratie ist diese Entwicklung hochgefährlich. Kulturell ist sie verheerend. Und für die Wirtschaft ist sie riskant, weil Können und Wissen verloren gehen. Dieses System erzeugt Menschen, die zwar nach Richtlinien arbeiten können, aber keinen Bezug zu ihrer Arbeit haben. Schulzimmer werden heute zum Teil gestaltet wie Grossraumbüros, und im «selbstorganisierten Lernen» arbeitet man an seiner «Sozialkompetenz» und «Teamfähigkeit». Als durchgängiges pädagogisches Modell funktioniert das nicht. Lernen ist und bleibt ein Beziehungsgeschehen zwischen Lehrer und Schülern und der gemeinsamen Sache.

Ob man diese Entwicklung überhaupt noch aufhalten kann, ist eine Frage des politischen Willens. Es braucht eine öffentliche Debatte dazu. Ich bin durchaus optimistisch, denn es wird in letzter Zeit viel gesprochen über Kompetenzen, auch durchaus kritisch. Die ganze Sache ist keineswegs unumstritten. Aber man muss diesen Diskurs auch wollen. Hier sind gerade in der Schweiz mit ihrer direktdemokratischen Kultur die Politik und auch die Eltern gefragt. Sie sollen mit den Schulen und in der Öffentlichkeit den Diskurs führen und wo möglich Abstimmungen provozieren. Denn das Bildungsverständnis der OECD ist am Volk vorbei eingeführt worden. Dagegen kann man sich wehren.

Man kann zum Beispiel den Pisatest abschaffen. Denn wir verlieren dabei nichts und gewinnen viel. Das Geld für die Pisa-Tests könnte man im Bildungsbereich besser investieren.

Montag, 11. August 2014

Kompetenzen ohne Bildung

Pädagogikprofessor Jochen Krautz







Jochen Krautz ist Professor für Kunstpädagogik an der Bergischen Universität Wuppertal. 2007 erschien von ihm das Werk «Ware Bildung – Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie». Er ist gegen Kompetenzen als pädagogisches Konzept. Machen Kompetenzen denn dumm?
Ja, weil durch sie die Bildung abhandenkommt. Die Kompetenzorientierung vernachlässigt Fachinhalte und würdigt sie zu reinen Trainingsobjekten herab. 
Ob Lesekompetenz anhand des «Faust» oder der Handy-Gebrauchsanweisung erlangt wird, ist dem kompetenzorientierten System egal. Damit gehen Bildungsinhalte schlicht verloren.

Was sind denn «Kompetenzen» überhaupt?
Der Begriff «Kompetenz» geht auf den Kognitionspsychologen Franz Weinert zurück und ist im Alltagsverständnis positiv besetzt. Wer will schon einen inkompetenten Heizungsmonteur? Allerdings beschreibt Kompetenz im schulischen Zusammenhang eine innere, weder sicht- noch messbare Voraussetzung, etwas zu tun. Der Fachinhalt ist dafür zweitrangig.

Kompetenzen ohne Bildung – geht das?
Ja, leider, weil man Kompetenzen auch ohne Inhalte trainieren kann. Bildung ist etwas anderes. Der sich Bildende sucht die Auseinandersetzung mit dem Fachinhalt, will den Inhalt verstehen, Zusammenhänge erkennen und Neuland entdecken. Kurz – er denkt selber. Das selbständige Denken wird durch Kompetenzen aber weniger gefördert. Hier geht es vielmehr um Anpassung und trainierbare Fertigkeiten.

Sie kritisieren, dass der Nutzen der Kompetenzorientierung nicht erwiesen sei. Aber ist es denn der Schaden?
Es gibt keinen wissenschaftlich validen Konsens zum Kompetenzbegriff. Das Kompetenzsystem ist ein Konstrukt der OECD. Trotzdem hält die OECD daran fest. Dabei müssten die Reformer zuerst einmal beweisen, dass dieses neue System tatsächlich besser ist als das alte. Diesen Beweis gibt es aber nicht. Man darf in der Pädagogik nicht einfach etwas ausprobieren, denn damit verbaut man möglicherweise ganzen Generationen von Schülern die Lebenschancen. Die Kompetenzorientierung bringt faktisch eine Absenkung des Bildungsniveaus. Auch dass sie mehr Gerechtigkeit brächte halte ich für reine Rhetorik, denn dafür gibt es keinerlei Beweise. Klar, es gibt mehr Abschlüsse. Mehr Abschlüsse bei sinkendem Niveau – das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun.

Montag, 4. August 2014

Lehrplan 21: Monster der Bildungsbürokratie?

In der Neuen Zürcher Zeitung hagelt es auf der Diskussionsseite eines Artikels, aus welchem wir in den letzten beiden Wochen Auszüge publizierten, über den kompetenzorientierten Unterricht scharfe Kritik.

Prof. Künzli hält den Lehrplan 21 für einen pädagogischen Slogan ohne inhaltliche Konturen. Das Kompetenzmodell sei sowohl theoretisch als auch praktisch fragil und ungeklärt, sagt der Lehrplanexperte. Der Beweis, dass es sich in der Praxis bewähre, sei nicht erbracht. Kommt dazu, dass in der Welt der Kompetenzen nicht das Wissen, sondern das prüfbare Können regiert, OECD-weit standardisiertes Können notabene, das sich in Vergleichstests wie Pisa messen lässt. Gegen Leistungsmessungen sei nichts einzuwenden, sagt Künzli. Ein Staat habe ein legitimes Interesse daran, zu erfahren, was die Schüler nach der obligatorischen Schulzeit können. Doch wenn der schulische Bildungsauftrag nur noch auf Nützlichkeit, Brauchbarkeit und Prüfbarkeit – also auf Arbeitsmarktfähigkeit – ausgerichtet werde, gehe etwas kaputt.

Diese Einschätzung teilt Roland Reichenbach von der Universität Zürich, der die «grassierende Kompetenzorientierung» Mitte Juni zu einem Tagungsthema machte. Gegen die vergleichende Messung von Leistung hat der Professor für Erziehungswissenschaft nichts einzuwenden, doch er hält es für ein Problem, wenn nur noch das Messbare zählt und alles andere als unnütz gilt. In den USA habe man diesbezüglich schlechte Erfahrungen gemacht.

Dass die Schweiz mit ihrem gut funktionierenden Bildungssystem ohne wirkliche Not auf der Kompetenzwelle mitreitet, stellt nicht nur Reichenbach, sondern auch eine Gruppe von Pädagogen um den Bieler Realschullehrer und grünliberalen Politiker Alain Pichard fest. Diese sehen im Lehrplan 21 ein «monumentales Regelwerk der Bildungsbürokratie». Mit ihrem von über 1000 [. . .] Lehrern unterzeichneten Memorandum wollen sie vorab die Lehrerschaft mobilisieren. Denn viele Lehrer würden glauben, dass der Lehrplan 21 sie nicht direkt betreffen werde. Vielleicht ein Irrtum.