Montag, 8. Februar 2016

Individualisierung ist ein Menschenrecht

Die 1976 in der Zeitschrift "Die Grundschule" veröffentlichte Karikatur Hans Traxlers, welche die letzten Beiträge illustriert hat - und auch diesen Artikel, zählt zu den meistverbreiteten Karikaturen der 1970er-Jahren.


Corredor  schrieb über dreissig Jahre später zu dieser Karikatur unter anderem (Auszüge aus dem Kommentar; der ganze Text ist verknüpft):

Selbst wenn man davon ausgeht, daß – im Prinzip – alle alles lernen können (wenn auch diese unbestimmt allgemeine Fähigkeit immer nur konkret, also historisch bedingt, existiert), dann kann mit dieser Voraussetzung nicht nur eine Gesamtschule für alle, sondern auch eine volle Integration auch behinderter Schüler gut begründet werden. Aber auch das hat mit einer Individualisierung des Unterrichts nichts zu tun. Die Forderung nach Individualisierung (nicht: Differenzierung!) bliebe nach wie vor moralisch.
Nur weil die Individualisierung des Lernens als eine unvermeidbare Tatsache angesehen werden muß, ist die Forderung nach einer Individualisierung des Unterrichts nicht nur legitim, sondern ein Menschenrecht. Aus zwei Gründen. Weil alle Menschen Individuen sind, einmalig, unverwechselbar, nicht austauschbar und nicht teilbar, besitzen sie auch die allgemeine Lernfähigkeit, alles lernen zu können, in individuell einmaliger Form – und dies als eine unverlierbare, genetisch fixierte Anlage, die sie selbst spätestens von Geburt an im Gebrauch zunehmend individualisieren und konkretisieren.
Diese Individualisierung beruht auf der ebenfalls genetisch fixierten Notwendigkeit, nur das zu lernen, was persönlich sinnvoll ist. Schon Tiere lernen – selbst in der Dressur – nur das, was biologisch sinnvoll für sie ist. Erst recht für Menschen gilt der Sinnbezug als unverzichtbares Kriterium für das Lernen – welcher Inhalte auch immer. Persönlicher Sinn kann aber nicht vermittelt werden.Sinngebung (bzw. Sinnbildung) ist eine unhintergehbare individuelle Leistung.
Dann aber können nicht zwei Menschen dasselbe auf dieselbe Weise lernen, geschweige denn eine ganze Schulklasse! Jeder Unterricht überfordert sich hoffnungslos, der das auch nur versucht. Und wenn nachweislich doch gelernt worden ist, dann – wie Luhmann sagt – „trotz des Unterrichts“. Die Individualisierung des Unterrichts besteht so gesehen in der Hilfestellung zur persönlichen Sinngebung (bzw. Sinnbildung) jedes einzelnen Schülers.

Alle erschienenen Beiträge in dieser Serie:
  1. Was ist gerecht?
  2. Was ist gerecht ? (Fabel)
  3. Der Lehrer ist nicht nett.
  4. Individualisierung ist ein Menschenrecht
  5. Nochmals: Was ist gerecht?
  6. Fehlende Gerechtigkeit führt zu Streit


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