Montag, 21. Juli 2014

Lehrplan: Was sind eigentlich Kompetenzen?

Der kompetenzorientierte Unterricht ist das Kernstück des Lehrplans 21 für die Deutschschweizer Volksschule. Doch was Kompetenzen genau sind, wie sie den Schulalltag verändern und wie sie beurteilt werden, ist selbst in Fachkreisen unklar und umstritten.

Gerade zur Frage nach der Form der Beurteilung schweigt der Lehrplan, obwohl er um die 550 Seiten umfasst. In einer ersten Konsultation ist das Papier von vielen Seiten wegen seines Umfangs kritisiert worden. Es muss nun bis Ende Jahr um 20 Prozent abspecken. Zurzeit listet der Lehrplan über 4000 Kompetenzen auf, die die Schüler können sollen, wenn sie die Volksschule verlassen. Unter diese Kompetenzen fällt zum Thema «Lesen» unter anderen folgende: «Die [. . .] Schüler können ihr Leseverhalten und ihr Leseinteresse reflektieren. Sie können so das Lesen als ästhetisch-literarische Bereicherung erfahren.»

Im Bereich «Natur, Mensch, Gesellschaft» wiederum heißt es: «Die [. . .] Schüler können sich als Teil einer Institution wahrnehmen und den Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft, verschiedenen Herrschaftsformen und Entscheidungsprozessen verstehen.» Wo solches selbst gestandene Semester vor Denksportaufgaben stellt, enthält der Lehrplan auch triviale Kompetenzen. Im Bereich der Mathematik etwa heißt es: «Die [. . .] Schüler können mit der Schere Streifen, Ecken und Rundungen schneiden», und sie «können mit dem Geodreieck Winkel messen».

Die Kompetenzorientierung, wie sie der Lehrplan 21 vorsieht, stellt einen Paradigmenwechsel dar. So viel scheint klar. Wie dieser sich aber konkret auswirken wird, ist umstritten. Für den Zürcher Pädagogikprofessor Urs Moser führt kein Weg an der Kompetenz vorbei, «sofern Effektivität, Effizienz und Gerechtigkeit des Schweizer Bildungssystems in Zukunft zuverlässig ausgewiesen und gezielt optimiert werden sollen, sofern faire Beurteilung mehr als eine Floskel im bildungspolitischen Diskurs sein soll, sofern sich Förderkonzepte und Leistungsorientierung in Zukunft tatsächlich einer Wirkungskontrolle stellen wollen». Kompetenzorientierung heißt seiner Meinung nach, dass Wissen in verschiedenen Kontexten angewendet werden soll, was hoffen lasse, «dass der allseits beklagte Anstieg der Vergessenskurve gebremst werden kann».

Anders der emeritierte Lehrplanforscher Rudolf Künzli. Er steht Lehrplan und Kompetenzbegriff skeptisch gegenüber. Er bestreitet keineswegs, dass es im Lehrplan auch gute Ansatzpunkte gibt, insgesamt sei dieser aber mit Erwartungen überfrachtet. Der Blick dafür, was ein Lehrplan überhaupt vermag und welchem Zweck er eigentlich dient, ist aus der Sicht von Künzli bei der Erstellung dieses Dokuments verloren gegangen. Entstanden sei eine Art Zwitter, der (zu) vieles wolle, dessen konkrete Funktion deshalb aber im Unklaren bleibe.

(Auszug aus einem Beitrag der Neuen Zürcher Zeitung)

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