Montag, 20. Januar 2014

Lernen geht anders

Schulen mit altersgemischten, kleinen Klassen sowie individualisierter Unterricht, in dem die Lehrer eine Beziehung zu jedem Kind aufbauen können. So muss eine Schule sein. Das ist das Resultat der Langzeitstudien des Kinderarztes Remo Largo.



Buchbesprechung
Seit 20 Jahren sind die Bücher des ehemaligen Kinderarztes Remo Largo Pflichtlektüre vieler Eltern. "Babyjahre", "Kinderjahre" und "Schülerjahre" wurden über eine Million Mal verkauft und skizzieren die Grundzüge einer Pädagogik, die "Bildung und Erziehung vom Kind her" denkt. Largos Forderungen und Thesen sind nach wie vor aktuell. In "Lernen geht anders" bringt er sie noch einmal kurz und prägnant auf den Punkt.

Im Zentrum sämtlicher Überlegungen Largos steht die kindliche Entwicklung. Sie allein müsse der Orientierungspunkt von Erziehung und Bildung sein und nicht etwa die Wünsche und Ängste von Eltern und Lehrern oder der Zwang von Lehrplänen und Schulsystemen. Folgerichtig legt Largo im ersten Teil seines Buches zunächst dar, wie die kindliche Entwicklung abläuft, und welche Rahmenbedingungen sie braucht.

Eine liebevolle, vertrauensvolle und fürsorgliche Beziehung zu den Eltern oder Bezugspersonen vorausgesetzt, lerne jedes Kind gerne. Seine angeborene Neugierde lasse ihm gar keine andere Wahl und die bevorzugte Methode sei die der Nachahmung. Allerdings entwickelten sich Kinder in unterschiedlichem Tempo und variierten in ihren Entwicklungsstufen bis zu drei Jahren (bei gleichem Alter!).

Für Largo besteht die Kunst der Erziehung zu einem großen Teil darin, das "Kind zu lesen", seine Einzigartigkeit, seine Talente und eben auch seinen jeweiligen Reifegrad zu erkennen. "Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht", ist ein Lieblingssatz Largos, mit dem er dafür plädiert, der natürlichen Entwicklung ihren Lauf zu lassen.

Wer, wie fast alle Fünfjährigen, die unglaubliche Leistung etwa des Laufenlernens und des Spracherwerbs vollbracht habe, dem dürfe man ruhig vertrauen, dass er auch weiter lernen wolle und könne - allerdings im eigenen Rhythmus. Der Schulalltag jedoch sieht anders aus: Lesen lernen steht im Alter von sechs Jahren auf dem Lehrplan - ungeachtet dessen, wie weit das einzelne Kind tatsächlich ist. Wenn aber noch die Reife zum Thema fehle, müsse man mit Mühe oder gar Zwang vermitteln, was zu anderer Zeit leicht, zumindest leichter, gelernt werden könne.

Für eine kindgerechte Schule fordert Largo im zweiten Teil des Buches nicht weniger als eine "kleine pädagogische Revolution": Ganztags-Gesamtschulen mit altersgemischten, kleinen (!) Klassen, individualisiertem Unterricht und individualisierten Lernzielen. Vorrangig sei, dass der Lehrer eine Beziehung zu jedem Kind aufbaue. "Beziehung geht vor Erziehung" - diesen Merksatz der Reformpädagogik wiederholt Largo unermüdlich. Dafür müsse man den Lehrern mehr Zeit einräumen, gerne auf Kosten alten Bildungsballastes, denn nicht nur die Lernprozesse müssten überdacht werden, sondern auch der zu vermittelnde Stoff.

Largo verlangt viel, aber er argumentiert aus einer ernst zu nehmenden Position heraus. Seine Forderungen resultieren aus jahrzehntelanger Forschung - in Langzeitstudien hat er über 800 Kinder von der Geburt bis ins Erwachsenenalter verfolgt -, und er versteht sie schlüssig und nachvollziehbar zu entwickeln. Man sollte sie lesen.
Besprochen von Eva Hepper
Remo H. Largo: Lernen geht anders
Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2010
190 Seiten

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